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Lauscher beim Konzert der Frösche Axel Kwet forscht im Urwald
Frösche machen "quaak", lernen Kinder. Axel Kwet kann das nicht bestätigen. Er legt eine CD ein. Das Stück heißt Froschkonzert, aufgenommen im brasilianischen Urwald. Dutzende von Solisten klopfen zwitschern und meckern - aber "quaak" macht eigentlich keiner.
Von Rainer Klüting
Der Stuttgarter Forscher hat das Froschkonzert selbst aufgenommen. Viele Monate hat er seit 1995 in den Wäldern in Süd-Brasilien verbracht, ausgerüstet mit Mikrofon, Fotoausrüstung und einer Stirnlampe, da er meist nachts unterwegs war. Hörte er ein Froschmännchen nach einem Weibchen rufen, dann ließ auch Axel Kwet sich anlocken und näherte sich leise, um nicht zu stören. Wollte er den einzelnen Rufer besonders deutlich aufnehmen, musste er nahe heran, was den Belauschten dann doch oft misstrauisch machte. Also ließ der erst einmal die Luft aus seinen "Schallblasen", den dick aufgepumpten Backen, und Axel Kwet musste ausharren, bis das Verlangen nach einem Weibchen größer wurde als das Misstrauen.
Anstrengend waren diese nächtlichen Streifzüge, doch dem großen, breitschultrigen Kwet traut man sie ohne weiteres zu. Der Wissenschaftler, 1965 in Esslingen geboren, ist Zoologe, und seine Tätigkeit nennt er selbst seine "Passion". Seit einem Jahr arbeitet er am Staatlichen Museum für Naturkunde im Schloss Rosenstein. Sein Fachgebiet heißt Herpetologie, die Lehre von den Kriechtieren. Ihm haben es die Frösche angetan, genauer gesagt: die Froschlurche, denn dazu zählen auch die Unken und Kröten. Seine Forschungsobjekte sind groß wie eine Katze oder winzig wie ein Streichholzkopf, sie sind froschgrün oder tragen alle erdenklichen Tarnfarben, sie treten als Einzelgänger auf oder bevölkern einen Teich zu tausenden. Und sie schnalzen kaum hörbar oder veranstalten einen Lärm, von dem Kwets Chef am Museum Rosenstein, Andreas Schlüter, erzählt, dass er schon bis zu 90 Dezibel gemessen habe; ab 85 Dezibel kann Lärm bereits Hörschäden erzeugen. 5500 verschiedene Froscharten sind den Amphibienforschern inzwischen bekannt, und ein Ende der Neuentdeckungen ist nicht abzusehen, denn jedes Jahr kommen hundert neue Arten hinzu.
Sehr persönliche Neugier und Tierliebe mischt sich bei Kwet mit dem Interesse an einem Fachgebiet, in dem es noch viel zu entdecken, aber auch viele bedrohte Arten zu beschreiben und, wenn möglich, zu schützen gibt. Schon mit fünf oder sechs Jahren habe er zum ersten Mal Aquarien und Terrarien gehabt. Brachte er mal wieder ein paar glibberige Molche nach Hause, dann rief seine Mutter nicht "igittigitt!", sondern unterstützte ihn. Ein paar Jahre später hatte der junge Kwet beschlossen, dass er Dinosaurierforscher werden wolle. Da diese Tiere seltsame lateinische Namen haben verkündete er seinen Eltern, er wolle in der Schule Latein lernen, und setzte sich damit auch durch.
Es folgte das Studium der Biologie in Tübingen; die Diplomarbeit befasste sich mit Amphibien im Naturschutzgebiet Federsee. 1995 reiste Kwet zum ersten Mal nach Brasilien. Die Universität Tübingen hatte eine Partnerschaft mit der Universität in Porto Alegre begonnen. Kwet war einer der Ersten, die Forschungen in den geschützten Araukarienwäldern von Pró Mata aufnahmen. 32 verschiedene Froscharten beobachtete Kwet dort, davon waren acht bis dahin vollkommen unbekannt. Von einer Art fand er ganze zwei Exemplare. Als ein Diplomand ein drittes Tier fand, rief er Kwet am vergangenen Silvesterabend aus Brasilien an, um ihm begeistert davon zu berichten.
Tausende von Tierfotos und Schallaufnahmen sammelte Kwet für seine Doktorarbeit in den Jahren 1996 bis 1999; jedes Jahr verbrachte er von Oktober an fünf Monate in der Tübinger Forschungsstation von Pró Mata. Froschfotos zieren sein Arbeitszimmer dort, wo andere Forscher Familienfotos aufhängen würden, und wenn er seine Froschkonzert-CD einlegt, dann bekommt man zwischen all seinen Büchern und Gläschen mit präparierten Tieren ein bisschen Urwaldatmosphäre mit. Andreas Schlüter, der in Peru forscht, hat mit seinen Funden und einer entsprechenden Geräuschkulisse einen Ausstellungsraum im Museum eingerichtet.
Doch die Zeiten, in denen Naturforscher nach Belieben Trophäen nach Hause tragen, sind vorbei. Kwet bekam das bei seiner Arbeit zu spüren. Entdeckt ein Wissenschaftler eine neue Art, so wird ein Exemplar davon als "Holotyp", sozusagen als Muster, aufgehoben. Museen sind stolz, wenn sie möglichst viele Holotypen besitzen. Doch Kwet ließ alle seine Holotypen in Porto Alegre. Was er mitbringt, lässt er sich von den dortigen Kollegen schriftlich freigeben. Und trotzdem: Als die brasilianischen Medien im Jahre 1997 breit über seine Forschung berichteten, wurde er, als er den Rückflug nach Deutschland antreten wollte auf dem Flughafen verhaftet. Dank der einheimischen Kollegen war er bald wieder frei, doch seine Proben musste er zurücklassen.
Kwet hat durchaus Verständnis für dieses Misstrauen: Lange genug sind die Länder Amazoniens wlssenschaftlich und wirtschaftlich ausgebeutet worden. Nun wollen sie die Früchte ihrer reichhaltigen Natur selbst ernten. Die meisten Frösche produzieren giftige Hautsubstanzen. Sie schützen sich damit gegen Mikroorganismen. Schon die Ureinwohner Amerikas gewannen aus Fröschen Pfeilgifte. Heute kann man viele dieser Substanzen zur Herstellung von Medikamenten nutzen.
Die Forschung im Urwald und die Arbeit im Labor ergänzen sich auch für einen Zoologen wie Kwet. Seine Aufnahmen vom Froschkonzert analysiert er elektronisch und kann damit feine Unterschiede im Ruf der Männchen feststellen. Diese Informationen verbindet er mit dem genauen Vermessen von Körperformen, um zu bestimmen, welches Tier zu welcher Art gehört. Zugleich beschäftigt er sich mit der mühsamen Arbeit, die Bestände des Naturkundemuseums zu inventarisieren, von denen der überwiegende Teii auf den Pragsattel ausgelagert ist. Und ab und zu kommt ein Paket vom Zoll mit einer Schlangenhaut oder einem exotischen Tier. Dann gilt es zu begutachten, ob ein Verstoß gegen Artenschutzbestimmungen vorliegt.
Wer einer Passion folgt, kann es auch zu Hause nicht lassen. Zeitweise habe er zwanzig und mehr Terrarien in seiner Wohnung gehabt, erzählt Kwet. Wegen seiner vielen Reisen musste er die meisten abgeben. Übrig geblieben sind zwei Leopardgeckos, drei Krallenfrösche und eine Rotwangenschildkröte "die sind robust, die halten das aus".
Bücher:
"Frösche und Co." von Axel Kwet und Andreas Schlüter, 7 Euro, erhältlich beim Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, Telefon 0711/8936-115.
"Frösche im brasilianischen Araukarienwald" von Axel Kwet, Natur und Tier Verlag Münster, 78 Euro.
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