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Dr. Axel Kwet
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Presse

Heimat und Welt - Das Gea-Magazin (Nr.3 / 14.01.2000): Der Herr der Frösche (von Andreas Werum)

Axel Kwet ist Wissenschaftler mit Leib und Seele. Bei seiner Arbeit steht er oft stundenlang hüfttief im Wasser, streift mutterseelenallein durch dunkle Wälder und geht giftigen Spinnen aus dem Weg. Der 34-jährige Biologe von der Universität Tübingen hat im brasilianischen Araukarienwald neue Froscharten entdeckt.

Für Axel Kwet beginnt die Arbeit, wenn andere sich gemütlich im Sessel zuriicklehnen und den Tag ausklingen lassen. Die Sonne verschwindet hinter den Hügeln und taucht mit ihren letzten Strahlen Kwets Arbeitsplatz in sattes rotes Licht. Er zwängt sich in störrische olivgrüne Anglerstiefel, die bis zur Hüfte reichen, und streift sich die dicke wasserdichte Jacke über. Der schwere Rucksack auf dem Rücken beherbergt Glasgefäße, Mikrofon und Kassettenrekorder, Fangnetz, Fotoapparat, Makroobjektiv, Blitzlicht, Hygro- und Thermometer. Kwet kontrolliert noch die Batterien seiner Stirnlampe, dann kann's losgehen.

Mittlerweile ist es 20 Uhr, und graue Dämmerung hat das Abendrot abgelöst. Der 34Jährige stapft in die Nacht auf der Suche nach seinen Forschungsobjekten: Frösche im brasilianischen Araukarienwald. In Rio Grande do Sul, dem südlichsten Bundesstaat Brasiliens, erhebt sich nur wenige Kilometer von der Atlantikküste entfernt ein 1000 Meter hohes Plateau über dem Meer. Hier streift der Tübinger Zoologe durch ein rund 5 000 Hektar großes Gelände im Waldschutzgebiet Pro-Mata.

Nadelbäume, die Araukarien, und eine Steppenlandschaft mit hüfthohen Gräsern dominieren die hügelige Region. Unzählige Bäche, kleine Flüsse, Teiche und Tümpel prägen das Landschaftsbild. Und diese Gewässer sind das Ziel von Kwet, der sich mit seiner fast zehn Kilo schweren Ausrüstung durch das dichte Unterholz schlägt. Jenseits aller Pfade unterwegs, ebnet eine Machete ihm den Weg. Inzwischen ist es stockfinster geworden, der Kegel der Stirnlampe huscht durch die Nacht, Nebelschwaden treiben am Boden.

Kaum ein Geräusch ist im Wald zu hören. Nur ein paar Mäuse und Opossums rascheln im UnterhoIz, Eulen und Nachtschwalben jagen durch die Luft. Doch wo Kwet hingeht, ist der Geräuschpegel deutlich höher. Noch ist kein Frosch zu sehen, aber von weitem hört er schon, wie an den Teichen und Bächen die Tiere lautstark auf Brautschau gehen. Ein Schauspiel, das den Wissenschaftler magisch anzieht.

Er betreibt Grundlagenforschung für ein deutsch-brasilianisches Projekt, das den gefährdeten Araukarienwald untersucht. Vor rund zwölf Jahren hat der Entwicklungsphysiologe Wolf Engels die internationale Kooperation der Universität Tübingen mit der brasilianischen PUC-Universität (Pontificia Universidade Catolica) in Porto Alegre begonnen. Das gesamte Ökosystem des Waldes wird erfasst, die Rolle der dort lebenden Tiere erforscht. 1995 ging Kwet zum ersten Mal nach Brasilien, ein Stipendium der Landesgraduiertenförderung in der Tasche und Frösche im Kopf. Die Diplomarbeit hatte der Biologe, der von 1984 bis 1993 in Tübingen studierte, selbstverständlich den Fröschen gewidmet: Am Federsee bei Bad Buchau untersuchte er die dort lebenden fünf Arten. Fast zehnmal so viele leben in Pro-Mata, aber die Fragestellung ist ähnlich: Welche Aufgaben haben sie in diesem Ökosystem, welche Schädlinge fressen sie, für welche Vögel und Schlangen dienen sie als Nahrung?

Doch um dies zu beantworten, müssen erst einmal die Froscharten bestimmt werden. Und dabei machte Kwet einige Entdeckungen. Fünf neue Arten hat er gefunden, weitere drei bis fünf wurden zwar irgendwann einmal schon beschrieben, jedoch der falschen Gattung zugeordnet. Auch diese müssen erneut untersucht und benannt werden. Dabei bewegt er sich auf den Spuren des deutschen Naturforschers Reinhold Hensel, der vor 150 Jahren die Frösche in Südbrasilien zwar als erster studiert, jedoch nur sehr lückenhaft beschrieben hatte.

Kwet ist am ersten Teich angelangt. Noch mindestens neun liegen vor ihm in dieser Nacht, insgesamt untersucht er die Frösche von 50 Gewässern. Etwa 40 Arten gibt es in Pro-Mata, mit denen Kwet so gut vertraut ist, dass er alle davon am Quaken erkennt. Dabei hat er weder ein absolutes Gehör, noch ist er sonderlich musikalisch. »Deshalb kann ich die Quak-Laute auch nicht gut nachahmen«, sagt der Doktorand am Tübinger Lehrstuhl für Zoologie.

Hören schon. Er steht am Rand des Teichs und lauscht konzentriert ins Dunkel. Bis er wusste, wie welcher Frosch quakt, gab er den Tierchen Arbeitsnamen. Grunzender »Schweinsfrosch«, wirbelnder »Trommelfrosch«, der »Ziegenfrosch«, der ein meckerndes Geräusch von sich gibt, oder der »Senna-Frosch« - benannt nach dem legendären Formel-1-Rennfahrer und brasilianischen Volkshelden Ayrton Senna: Der Frosch quakt ähnlich, als ob ein Formel-1-Bolide mit 300 Sachen vorbeirauscht. Doch den Frosch hören und ihn finden, das sind zwei Paar Stiefel. Zur Peilung hat Kwet seine zwei Ohren und die Kopflampe, mit der er sich im Gebüsch orientieren kann. Nur, der Frosch sucht ein Weibchen, und keinen neugierigen Deutschen, der ihm mit Foto und Fangnetz nachstellt. Kwet pirscht sich langsam ans Objekt seiner Begierde heran, kreist den Frosch ein. Doch der verstummt plötzlich. Also Lampe aus, mucksmäuschenstill ins Dunkel lauschen und hoffen, dass der FroschMann seinen Hochzeitsgesang wieder aufnimmt. So geht's dann Meter für Meter vorwärts, bis der Frosch in Reichweite seines Fotoapparats sitzt. Aber Kwet will mehr als nur fotografieren. Er möchte sozusagen ein Exklusiv-Interview.

Mit diesen Aufnahmen erstellt er dann ein Sonogramm, das er später auswertet. »Um eine gute Aufnahme zu bekommen, muss ich mit dem Mikro bis auf ein paar Zentimeter an ihn ran, sagt Kwet. Doch wer will schon mitten beim Balzen von Reportern verfolgt werden. Kwet muss deshalb viel Geduld mitbringen. Die wird bisweilen stark strapaziert. Der schwierigste Fall war eine neue Spezies der Gattung Adenomera. Ganze vier Monate scheuchte der kleine Freund den Forscher durchs Gehölz, bis er sich endlich den neugierigen Blicken des Wissenschaftlers zeigte. Mit einer Größe von nur 16 Millimetern ist der Frosch dazu kein Riese. Manchmal hilft aber auch der Zufall bei der Entdeckung neuer Arten. Als er mit einem Kollegen unterwegs war, um für dessen Forschungsarbeit Schlangen zu fangen, spuckte eine schockierte Schlange, als sie gepackt wurde, fünf noch lebende Kröten und einen toten Frosch aus. Den hatte vorher noch nie jemand gesehen und Axel Kwet eine neue Spezies der Gattung Proceratophrys auf seiner Liste.

Unterdessen ist es spät in der Nacht. In den Gläsern hat Kwet Kaulquappen und Laich gesammelt. Das macht den Rucksack auch nicht leichter. Durch den Wald geht's zum nächsten Teich. Es ist kalt, nass, und die Kleidung wird klamm. Unter seinem Gummizeug schwitzt Kwet. Auf dem Plateau sind die Nachttemperaturen im Dezember und Januar zwar am wärmsten - es ist schließlich Sommer auf der Südhalbkugel. Aber bei 15 Grad stundenlang im Wasser zu stehen, geht an die Knochen.

Doch Kwets Hoch-Zeit ist der Frösche Hochzeit: Wenn die Froschmännchen auf Brautschau sind, hält sich der Forscher im brasilianischen Urwald auf. Den Rest des Jahres arbeitet Kwet am Tübinger Lehrstuhl für Zoologie. Also durchhalten, denn am aktivsten zeigen sich die Hüpfer bis Mitternacht. Oft bleibt er auch darüber hinaus bis vier oder fünf Uhr im Wald, egal wie ungemütlich es ist. »Bei Nieselregen wird's ätzend«, sagt er. Meist ist er aber so begeistert, dass er vom Regen und der Kälte gar nichts merkt. Seine Ausrüstung schon. Vier Mikros gingen bislang kaputt, dreimal war's dem Fotoapparat zu feucht. Nicht nur vor Regen muss sich Kwet hüten, der Araukarienwald beherbergt einige Tiere, die nicht ganz ungefährlich sind. Pumaspuren sind in den Wäldern schon gesehen worden, »aber der ist scheu«, meint Kwet. Auch den Schlangen zollt der Herr der Frösche wenig Respekt. »Es gibt zwei giftige Arten, einmal habe ich gemerkt, dass ich genau neben einer zusammengerollten Giftschlange stehe«, erzählt Kwet. Aber gebissen worden ist er noch nie. Das ist ihm bisher nur in Deutschland passiert, als er einer Kreuzotter vor die Schuppen lief. Handtellergroße Giftspinnen beeindrucken ihn ebenso wenig. »Sehr viele Vogelspinnen gibt es hier«, meint Kwet gelassen. Die seien aber nicht besonders gefährlich. Schon eher die Wolfsspinne oder Tarantel. Diese aggressiven Kampfspinnen können schmerzhaft zubeißen, aber nicht gefährlich für Leib und Leben werden.

Doch Adrenalin-Kicks bleiben nicht aus, wenn Kwet mutterseelenallein im Wald herumstreunt. Einmal stand er hochkonzentriert am Ufer eines Tümpels und lauschte den Fröschen, als hinter ihm plötzlich etwas schrie. »Ich bin vor Schreck beinahe kopfüber ins Wasser gefallen, habe mein Netz gepackt und bin in Verteidigungsstellung gegangen«, grinst Kwet. Aber der kleine Fuchs, der ihn angebellt hatte, war da schon verschwunden. Nur Kwet hatte für die Nacht genug. »Ich habe den geordneten Rückzug angetreten.« Das wiederum geht nur dann, wenn er sich nicht verläuft. »Zwei-, dreimal bin ich bei meinen ersten Exkursionen ganz schön ins Schwitzen gekommen.« Der Wald ist so dicht, dass Sterne oder der Mond nicht zu sehen sind. Und wenn's richtig neblig wird, kann die Sicht gerade noch fünf Meter betragen. »Wer sich nicht auskennt, sollte nicht alleine in den Wald gehen.«

Kampfspinnen, Kälte, unwegsames Gelände, all das kann den Forscher nicht davon abhalten, in der kommenden Nacht wieder auf Tour zu gehen, schließlich haben es ihm Frösche schon immer angetan. Am Stadtrand von Esslingen aufgewachsen, konnte er seinen Forscherdrang in seiner Kindheit voll ausleben. In den Streuobstwiesen und Wäldern tummelten sich Eidechsen, Blindschleichen, Frösche und Kröten. Alles, was das junge Forscherherz begehrt. Versteht sich, dass er ein leidenschaftlicher Sammler wurde. Nicht ganz so gefragt war seine Sammelleidenschaft - zumindest bei seinem Vater. Mit sechs Jahren bekam er sein erstes Aquarium, ein zweites und ein drittes hatten auch noch locker Platz im Haus. Irgendwann, da war er zwischen 18 und 20 Jahren alt, hatte er 30 Becken mit Fischen, Fröschen, Reptilien und sogar einem Skorpion. Und der Vater zitterte ums Eigenheim. Das Haus bricht noch zusammen, fürchtete das Familienoberhaupt.

Das Haus steht noch, und Kwet ist 10 000 Kilometer entfernt davon am Ende einer langen Nacht auf dem Heimweg zur Station. Anstrengung? Stress? Diese Worte kennt er nicht. Auch wenn er in seiner Gummikleidung bei hoher Luftfeuchtigkeit den letzten Tropfen Flüssigkeit ausgeschwitzt hat und ihm der Nacken vom schweren Rucksack schmerzt. Erst jetzt kommt die Müdigkeit. Die Sonne geht auf und Axel Kwet ins Bett.